Portraits & Interviews

Interview mit dem Textilkünstler Jochen Hüttemann

Das Blättern durch die Beiträge im Textile Art Magazine hat mich an die Arbeiten von Jochen Hüttemann erinnert, die mich schon damals sehr beeindruckt haben. Auch die neuen Werke, die er auf seiner Website zeigt, finde ich bemerkenswert. Ich wollte gern mehr über ihn wissen.

Wo sind Sie aufgewachsen und wo leben Sie heute?

Geboren und aufgewachsen bin ich in Düsseldorf, in einem eher ländlichen Stadtteil direkt am Rhein.
Seit über 35 Jahren lebe ich jetzt in Remscheid, im bergischen Land. Sehr nahe am Wald haben meine Frau, einige Tiere und ich unser Zuhause.

Sind sie schon als Kind mit textilen Techniken in Berührung gekommen?

Obwohl meine Mutter Damenschneiderin war, aber den Beruf nicht ausübte, waren die Kontakte mit textilen Techniken eher gering. Meine Eigeninitiative, neuen Dinge zu erfahren und auszuprobieren, war sehr groß. Ich sammelte alles Material, das ich finden konnte, um es zu verbinden und damit Dinge herzustellen. Mein Mal- und Zeichendrang war sehr ausgeprägt.

Welche Ausbildung haben sie?

Ich habe eine Ausbildung zum Schauwerbegestalter abgeschlossen.
Ich habe mich dann aber neu orientiert und eine weitere Ausbildung zum Ergotherapeuten abgeschlossen und mich später zum Lehrtherapeuten fortgebildet.
Während meiner berufliche Tätigkeit habe ich ein Studium in Gesundheits- und Sozialmanagement absolviert.
Die Schwerpunkte der Fortbildungen während meiner beruflichen Tätigkeit liegen im Bereich Methodik/Didaktik/Kommunikation/Problemlösung.

Was ist ihr Hintergrund im Bereich Textil?

Ich habe während meiner therapeutischen Ausbildung einige textile Techniken kennengelernt. Fasziniert haben mich das Herstellen von Batiken, Drucktechniken und die Weberei. Diese Techniken habe ich lange praktiziert, wobei der Schwerpunkt auf der Weberei lag. Hier bildete ich mich autodidaktisch weiter und baute mir einen Webstuhl. Ich gebe jetzt schon 25 Jahre Webkurse im Tuchmuseum Remscheid Lennep. Parallel dazu habe ich immer noch weiter gemalt. Nach einigen Jahre suchte ich eine Technik, die handwerkliche und künstlerische Aspekte in sich vereinte und landete beim Patchwork, und dann sehr schnell bei den Art Quilts, hier konnte ich auch wieder meine Erfahrungen aus den Bereichen Batik und Stoffdruck einfließen lassen. Durch Fortbildungen und Workshops wurden mein Wissen und meine Fähigkeiten erweitert.

Welche Techniken und welche textilen Materialien verwenden Sie?

In den Techniken, die ich verwende, spiegelt sich auch die Vielschichtigkeit meiner Arbeiten wider.

  • Handfärbe-Techniken für Stoffe und Garne
  • Drucktechniken, hier habe ich eine große Vorliebe für den Schablonendruck
  • Freies Patchwork, um ggf. die Grundfläche zu gestalten
  • Quilten mit der Hand und mit der Maschine
  • Applikationen
  • Sticktechniken, mit einer deutlichen Vorliebe für das französische Knötchen

Ich verwende gerne alte Baumwollbettwäsche, sie lässt sich gut färben und bedrucken. Gerne verwende ich auch alte Kleidungsstücke aus Baumwolle.
Ich verwende ebenfalls recyceltes Material für die Füllung, und wieder Bettwäsche für die Rückseiten.

Wie würden sie ihre Arbeit beschreiben?

Meine Quilts sollen Geschichten erzählen und die Betrachter dazu anregen, sich Gedanken zu machen. Dafür sind die Titel der Quilts durchaus wichtig. Wichtig ist mir, dass die Quilts nicht nur optisch ansprechen, sie sollen die Betrachter auch emotional berühren. Es sollen aber immer auch Freiräume vorhanden sein, die dem Betrachter Gedankenraum lassen. Mein Thema ist immer der Mensch mit dem was er tut oder auch mit seinem Sein.
Für mich ist wichtig, dass die Quilts – teilweise trotz ihrer Thematik – freundlich, farbig, ansprechend und spontan wirken.
Eine chaotische Vielschichtigkeit in Inhalt und Gestaltung ist beabsichtigt.

In den Werken Ihrer Blickwechsel-Serien sehe ich viele Gesichter. Was hat es damit auf sich?

Ich habe in meinen Arbeiten immer gerne mit Gesichtern und Händen gearbeitet. Dabei war die Gestaltung nicht frontal ausgerichtet, daher war der Betrachter immer ein Beobachter. Das war mir nicht mehr genug. Ich wollte, dass der Quilt oder die Gestaltung auch den Betrachter betrachtet. So hoffe ich entsteht eine wesentlich aktivere Kommunikation zwischen Betrachter und Werk.
Der Gesamtausdruck wird dadurch für mich wesentlich direkter und hat einen größeren Aufforderungscharakter.

Das Werk „Die Regenfrau“ lässt mich an Hundertwasser denken. Hat er sie inspiriert?

Ja, ich mag Hundertwasser, seine Farbigkeit und Gestaltung, aber die Regenfrau hat eine ganz andere Bewandtnis und ist nicht von den Regentagbildern inspiriert.
Es hat mich fasziniert, dass es in der hawaiianischen Mythologie einen weiblichen Geist für das Flusswasser und den Regen gibt. Um diesen Geist gibt es viele Geschichten, die von Generation zu Generation erzählt werden, aber nicht oder nur selten aufgeschrieben werden. Und wie in vielen Kulturen spielt der Regen eine große Rolle und ist in diesem Fall wichtig für die Flora, Fauna und die Ernährung der Bewohner.

Wie kreieren Sie ein Stück? Könnten Sie die Entstehung eines Werks von der Idee bis zur Fertigstellung beschreiben?

Ideen, Titel oder Skizzen kommen sofort in mein Ideenbuch. Ist ein Quilt fertiggestellt – ich arbeite immer nur an einem Quilt – und es gibt keine spontane Idee, die sofort umgesetzt werden muss, blättere ich durch das Buch, bis mich eine Idee anspricht. Dann lege ich für mich die Farbigkeit des Quilts fest. Aus meinem Fundus mit selbstgefärbten Stoffen wähle ich als erstes die Stoffe für den Hintergrund, dann erst die Stoffe für die Gesichter und die anderen Gestaltungselemente. Die nächsten beiden Schritte können je nach Gestaltung auch umgekehrt durchgeführt werden. Die Stoffe für den Untergrund des Tops werden zusammengenäht und dann schabloniert, oder umgekehrt. Dann wird das Top mit der Maschine gequiltet. Anschließend werden die Gesichter schabloniert und auf das Top appliziert. Je nach Entwurf werden weitere Stoffe appliziert oder der Quilt wird, aus gestalterischen Gründen, mit der Hand grob gequiltet. Zum Schluss wird der Quilt noch partiell mit Stickerei versehen. Der letzte Schritt ist die Verstürzung der Kanten und das Anbringen des Tunnels.

Ich habe auf Ihrer Website gelesen, dass Sie Kurse geben, unter anderem zum Thema „Individuelle Entwicklung und Problemlösung in der kreativen Arbeit“.
Wie läuft das ab?

Während meiner beruflichen Tätigkeit habe ich eine mentale Trainingsmethode kennengelernt. Sie wurde von der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg entwickelt und sollte vom Ursprung her Sportler auf den Wettkampf vorbereiten. Da die Methode dort sehr erfolgreich war, kamen schnell andere Zielgruppen hinzu. Ich ließ mich in dieser Methode ausbilden und habe sie im beruflichen Feld genutzt. Als es eine Stagnation in meiner künstlerischen Arbeit gab, habe ich das Training bei mir für die Situation angewendet und festgestellt, dass die Anwendungen und Techniken auch im künstlerisch gestalterischen Bereich wirksam sind. Das Training an sich ist zielgerichtet, wobei der Teilnehmer das Ziel für sich auf verschiedenen Ebenen formuliert. Es wird an der Konzentration/Fokussierung gearbeitet, eigene Stärken werden verdeutlicht und die Beeinflussung durch das Umfeld bearbeitet. Das Training dauert einen Tag, kann als Einzel- oder Gruppentraining gebucht werden.

Sie sind oft der einzige Mann unter vielen Frauen. Woran liegt es, dass sich nicht mehr Männer bei Patchwork bzw. in der Textilkunst engagieren?

Textilkunst in Deutschland ist eher ein Stiefkind. Der Zugang geht meist über die Techniken wie Nähen, Weben, Sticken und Stricken. In diesen Techniken wurden traditionell eher Frauen unterrichtet. Um diese Techniken auf ein künstlerisches Niveau zu heben, braucht man viel Erfahrung, oder man geht den Weg über die Ausdruckskraft des Materials. Auf beiden Wegen ist der Zulauf an Männern gering.
Es wird sich ändern! Auch hier spielt die Globalisierung eine Rolle. Erste Profiquilter aus Amerika werden jetzt auch in Europa bekannt. Männer haben das Häkeln und Stricken für sich entdeckt und es teilweise schon auf ein künstlerisches Niveau gehoben.
Vor 25 Jahren, bei einer meiner ersten Gemeinschaftsausstellungen, wurde ich als Quotenmann begrüßt.
Lange habe ich mich gefragt, ob meine Arbeiten angenommen werden, weil ich einer der wenigen Männer in dem Bereich bin. Es ist gut, dass ich diese Frage inzwischen für mich beantworten kann.