Portraits & Interviews

Interview mit der Textilkünstlerin Christine Klimmer

Christine Klimmer schrieb mir, um mich auf eine Ausstellung in Otterberg in Rheinland-Pfalz hinzuweisen. Ich finde ihre textilen Strukturen sehr interessant und habe sie um ein Interview gebeten.

Wo sind Sie aufgewachsen und wo leben Sie heute?

Da gibt es nur eine kurze Antwort: in Kaiserslautern, im Herzen der Pfalz. Dort bin ich 1948 geboren, habe den Kindergarten, die Grundschule und das Gymnasium besucht und an der Pädagogischen Hochschule studiert, mich verliebt, verlobt und geheiratet. Zu einer Hauptschule, in der ich meine erste Anstellung fand, musste ich nicht weit fahren. Mein Mann Volker Klimmer eröffnete nach der Studienzeit in Kaiserslautern eine Apotheke. Wir bauten ein Haus am Waldrand unseres Heimatortes, wo wir gemeinsam mit unserer Tochter und drei Enkelkindern noch heute wohnen.

Wenn sich 75 Jahre Leben in Kaiserslautern mit wenigen Sätzen zusammenfassen lassen, klingt das vielleicht langweilig. Langeweile hatte ich nie. Ich muss erwähnen, dass meine von den Eltern ererbte Kreativität viele weitere Impulse bekam. Als Bandleader und Jazzpianist der Volker-Klimmer-Band war und ist mein Mann mit dem Arrangieren von Jazz- und Popularmusik beschäftigt. Ich begleitete ihn zu vielen Auftritten der Band und erhielt unabhängig von musikalischen Eindrücken Inspirationen im In- und Ausland, welche ich in meinen Mixed-Media-Bildern verarbeitete. Musik war immer und überall dabei. Sie inspirierte mich natürlich auch bei meinen Arbeiten mit Stoff.

Sind Sie schon als Kind mit textilen Techniken in Berührung gekommen?

Für meine Mutter gehörten Stricken, Häkeln, Nähen, Weben, Sticken und Applizieren zu den Grundkenntnissen, die man brauchte wie das Kartoffelschälen, wenn man kochen möchte. Es war eine Selbstverständlichkeit diese Fertigkeiten zu beherrschen, und so habe ich sie erlernt und auch genutzt. Ich webte Badetaschen, häkelte runde Teppiche aus Sisalgarn, nähte Vorhänge, Kissen, Tagesdecken und wenn ein Ballkleid gebraucht wurde, wagte ich mich auch an solche Herausforderungen. Textile Techniken kamen mir im praktischen Bereich zugute, zur künstlerischen Gestaltung setzte ich sie bisher nicht ein. Was nicht ist, kann aber noch werden.

Welche Ausbildung haben Sie?

Ich habe Lehramt für Grund- und Hauptschule studiert und hatte schon in der Referendarzeit das Glück, in den 5. bis 10. Klassen in meinen Schwerpunktfächern Deutsch, Englisch und Kunsterziehung eingesetzt zu werden. Fächerübergreifender Unterricht bot viele Möglichkeiten, die Schüler zu motivieren.
Um meine druckgrafischen Techniken zu erweitern, besuchte ich regelmäßig Kurse bei der Volkshochschule, weil dort eine große Druckerpresse zur Verfügung stand. Meine eigene ermöglicht nur Arbeiten in kleinen Formaten.

Was ist Ihr Hintergrund im Bereich Textilien?

Was mich schon immer faszinierte, waren Stoffe, nicht so sehr die Muster oder Farben, sondern die feinen und starken Strukturen im Gewebe. Bei den verschiedensten Hoch- und Tiefdruckverfahren arbeitete ich mit Stoffteilen aus Tüll, Netzgewebe oder Sackleinen, um durch ihren Abdruck Spuren von Strukturen sichtbar zu machen. Auch Fäden, Kordel oder Bänder und Spitze setzte ich in Kontrast zu glatten Flächen ein.

Wenn ich meinen ganz persönlichen Hintergrund im Bereich Textilien ausfindig machen möchte, kommen mir folgende Gedanken: Schon in meiner Jugend schenkte mir meine Großmutter zu jedem Anlass Bett- oder Tischwäsche für meine Aussteuer. Dann reiste ein Mitarbeiter einer Textilmanufaktur aus Ulm an und zeigte die Kollektion bestehend aus außergewöhnlich edlen Stoffen. Ich durfte mir dann eine Bettgarnitur oder eine Tischdecke aussuchen. Es machte mir Spaß, aus den hochwertigen Baumwoll-, Leinen- oder Damast-Stoffen eine Auswahl zu treffen, vor allem weil auch eine Farbe für die Monogramme oder Bordüren passend gefunden werden musste. Allerdings weiß ich noch, dass etwas Modernes zum Anziehen mir mehr Freude bereitet hätte.

Speziell die Leinenbetttücher waren bei mir noch aus einem anderen Grund verhasst. Nach dem Trocknen auf der Wäscheleine wurden sie von meiner Oma erneut mit Wasser besprüht, dann gab sie mir die beiden Ecken einer kurzen Seite in die Hände und stellte sich mir mit den Ecken der anderen Seite gegenüber. Nun mussten wir beide kräftig ziehen. Wenn das Laken eine gleichmäßige Form zeigte, wurde es akkurat zusammengefaltet, bevor es zu einer „Mangel“ gebracht wurde.
Offensichtlich waren die Erinnerungen in meinem Bewusstsein verankert. Ich nahm das damals Erlebte zum Anlass, ein türgroßes Leinwandbild bei einer Ausstellung 2014 mit dem Titel „Zeitzeichen“ zu präsentieren. Ein Kissen und ein Bettbezug kamen zum Einsatz. Dies war wohl der eigentliche Beginn meiner Arbeit mit weißen Stoffen.

Sie arbeiten mit den Betttüchern Ihrer Großmutter. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, aus ihnen Textilkunstwerke zu formen?

Momentan arbeite ich noch mit den Betttüchern meiner Großmutter, die ich an den eingestickten Initialen erkenne. Außerdem fühlen die Leinengewebe sich anders an, denn diese Wäschestücke sind durch vielfaches Waschen bzw. Kochen in einem Waschkessel griffiger, weicher und stellenweise durchscheinend. Es gibt auch noch einen Vorrat aus dem Fundus meiner Mutter, diese sind weniger fein gewebt. Meine oben erwähnten Aussteuerlaken sitzen in Stapeln in einem Schrank und haben dort, wo sie vor Jahren zusammengefaltet wurden, leicht vergilbte Ränder. Vielleicht warten sie darauf, Verwendung in meinen Bildern zu finden.

Als ich in Pandemiezeiten einige Stücke aussortieren wollte, nahm ich mir Zeit, die ältesten Teile aufzufalten und auf ihren Zustand zu überprüfen. Manche sollten mir als fusselfreie Lappen beim Tiefdruck dienen, und deshalb riss ich sie in Streifen. Ein vor mir auf dem Boden liegendes Bündel fotografierte ich, um eventuell einen Fotosiebdruck daraus zu erstellen. Dabei stellte ich fest, dass ein Foto die Wirkung der verschlungenen weißen Stoffbänder nicht wiedergeben kann. Das war der Anstoß für mich, mir eine neue Technik auszudenken. Bei der Frage, wie mir das gelingen könnte, nahm ich viele Tipps des Apothekers im Haus an und experimentierte monatelang, um dem zerknitterten, in Falten gelegten oder gewellten Stoff Festigkeit zu verschaffen. Es war ein zeitraubender und aufwendiger Prozess, bis ich endlich soweit war, Strukturflächen aus dem Stoff erscheinen zu lassen.

Welche Techniken verwenden Sie?

Drei verschiedene Techniken habe ich mittlerweile entwickelt. Sie helfen mir verlässlich, das zu gestalten, was ich mir vornehme bzw. plane. Die erste Möglichkeit sind die verfestigten Stoffstreifen, mal schmal, mal breit, die über einen Rahmen gespannt verwebt werden. Bei der zweiten Version werden Einschnitte in den Stoff gesetzt, um dann Bänder dort einzuweben, einzuflechten oder über die glatte Fläche zu drapieren. Eine dritte Variante, bei der geschnittene Stoffstücke oder Bänder und Kordeln unter der Gesamtfläche montiert werden, lässt reliefartige Strukturen entstehen.

Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben?

Wenn ich nicht ständig neue Ideen hätte, würde ich sagen, dass ich mich angekommen fühle. Diese neue Technik ist für mich zwar die von der Druckgrafik gewohnte handwerkliche Gestaltung, aber in einer fast meditativen Form. Während an der großen Druckerpresse körperlich anstrengend, mit erforderlicher Kraft und vor allem unter einem gewissen Zeitdruck gearbeitet werden muss, ist hier geduldiges Abwarten angesagt. Die vorangehenden Denkprozesse sind minutiös durchdacht und führen mit der gebotenen Genauigkeit zum gewünschten Ergebnis. Vielleicht fehlt mir mittlerweile auch die Risikobereitschaft für nicht ganz zufriedenstellende Druckexperimente, denn häufig sind Kleinigkeiten wie Raumtemperatur, Luftfeuchtigkeit, Papierqualität oder die Farbkonsistenz ausschlaggebend. Ich wage mal ganz vorsichtig zu behaupten, dass ich nun mein Gestaltungsmittel gefunden haben.

Der Stoff ist mein Stoff. Ich erzähle Geschichte aus weißem Leinen.

Das Thema zwischenmenschliche Beziehungen liegt Ihnen am Herzen. Bitte erzählen Sie uns mehr darüber.

Wem liegt dieses Thema nicht am Herzen? Bei meiner Ausstellung sagte eine Besucherin, als sie meine Arbeiten betrachtet hatte, sie habe eben einen Rundgang durch ihr Leben gemacht. Diese Aussage berührte mich sehr, weil es genau das war, was ich mir mit der Präsentation meiner 15-teiligen Serie „Verflechtungen“ erhoffte. Mich selbst beschäftigten immer schon Verbindungen und Beziehungsgefechte, und ich versuchte, diese in meinen Bildern so darzustellen, dass sie zum Nachdenken oder zur Diskussion anregen.
Ich begann mit einer Arbeit während der Pandemie. Das Maskentragen war mein Denkanstoß für „aufeinander zugehen“ und „eng verbunden“.

Wie kreieren Sie ein Bild?

Ich wollte etwas gestalten, was von Haptik lebt und der Betrachter von der gesamten Thematik her „begreifen“ will. Wichtig ist, dass mit dieser auf das Wesentliche reduzierten Bildsprache in Weiß durch die Dreidimensionalität Licht und Schatten erzeugt wird, die dem Betrachter Farbnuancen suggerieren. Durch die Platzierung der Lichtquelle und deren Farbton kann eine wechselnde Sichtweise erzeugt werden. Das Bild „schwungvolles Auf und Ab“ zeigt das besonders deutlich, außerdem spielt der Einfallwinkel des Lichts eine enorme Rolle.

Es fällt mir schwer, von Kreieren zu sprechen. Ich sehe mich eher als Handwerkerin und gestalte aus textilem Material auf meine Art. Das Unschuldige und Reine, was der weiße Stoff vermittelt, soll erhalten bleiben und dem Betrachter in seiner Abstraktheit phantasievolle Freiheit und Interpretationsmöglichkeit bringen. Für ein Thema wie „Verflechtungen“ entstehen nie einzelne Bilder nacheinander, sondern ich bereite mindestens zwei vor und bearbeite sie gleichzeitig. Es sind oft vom Motiv und Titel her Gegenspieler, obwohl sie im Format übereinstimmen. „Bewegtes Miteinander“ und „auf einer Wellenlänge“ beweisen das.

Sie schrieben mir, Sie seien am Planen, wie Sie weiter verfahren sollen. Was können Sie sich für die Zukunft vorstellen?

Ich kann mir vorstellen, noch viele Betttücher zu verarbeiten. Mir schwirren unendliche Themen im Kopf herum! Einige davon könnte ich ausarbeiten. KulturART Otterberg fragte bei mir wegen einer Ausstellung an, als ich meine Serie nicht einmal abgeschlossen hatte. Dem Angebot, im Kapitelsaal auszustellen, konnte ich nicht widerstehen. Das Ambiente erschien mir besonders geeignet. Ich entschloss mich deshalb, ein noch im Werden befindliches Gesamtkonzept nicht durch Verkauf von Einzelbildern zu zerstören. Viel Zuspruch fanden die Bilder „Gruppendynamik“ und „konstruktive Verbindung“.

Für die Zukunft habe ich noch keine genauen Vorstellungen. Ich denke an Vermietung der Serie, an weitere Ausstellungen, an Teilnahme an Wettbewerben und vor allem an Kommunikation mit Berufsgruppen, die ihre Wartezimmer zu entspannten Kommunikationsräumen umgestalten möchten.

In der Hoffnung, auf diesem Weg Verbindungen und Verflechtungen erfahren zu können, bedanke mich herzlich für das Interview.